Zurück im Camp verpflegen wir uns da die Hitze immer weiter zunimmt, sitzen wir einfach so im Schatten rum. Clinton steigt in ein Mokoro und versucht sich am Polen. Ich tue es ihm gleich, es geht ganz gut, die Balance zu halten, aber der relativ starke Wind lenkt den Bug immer in eine Richtung, die ich so nicht vorgesehen hatte. Der Landebereich umfasst ca. 20x20 Meter, dahinter wird es tiefer und da wohnt ein Hippo. Wir haben es gestern abend schon kurz gesehen. Da ich immer weiter in die Richtung treibe, wähle ich schließlich den Rückwärtsgang und rette mich zurück ans Ufer.
Ein Mitglied unserer Gruppe hat leider seine Kamera beim Versuch, die Handwaschbox als Stativ zu verwenden zerstört, da sich die Kamera dazu entschloss, in das Waschwasser zu fallen, anstatt ruhig stehen zu bleiben und die gewünschte Langzeitbelichtung zu leisten. Jetzt ist im langweilig und er poled sich zunächst zaghaft durch den Flachbereich, wird aber schnell besser. Er wagt sich weiter hinaus und ist schließlich über dem Pool, in dem 3 Tonnen sehr schlechte Laune wohnen, angelangt. Rastaman Ishmael 2, ein Einheimischer, springt in seinen Einbaum und geleitet ihn wieder zurück in sicheres Fahrwasser. Er hatte wohl gestern nicht mitbekommen, dass wir einen Untermieter haben.
Clinton ruft dann einen Wettbewerb auf den Plan, der etwas befremdlich wirkt: Antilopenköttelweitspucken. Das sei in Südafrika weit verbreitet und es gibt sogar Meisterschaften. Das Geheimnis sei, den Köttel im Mund genügend zu befeuchten, dann fliegt er weiter. Da ich einen Staatsexamensabschluß in Parasitologie habe und ich mich dunkel erinnere, dass im Tierkot unangenehme Dinge, zumeist in Wurmform, wohnen können, lehne ich dankend ab... (von Einzellern, Bakterien und Pilzen mal ganz abgesehen) Ich nehme stattdessen einen Stift und Block zur Hand, um mir die Dinge aufzuschreiben und sie nicht zu vergessen, einen Paper-Blog sozusagen. Nach drei Worten höre ich auf. Es ist einfach zu heiß, um auch nur einen sinnvollen Gedanken zu haben.
Ganz ehrlich: es ist mittags einfach so heiß, dass man nichts anderes tun kann, als im Schatten vor sich hin zu köcheln und zu warten, bis es gegen 4-5 Uhr etwas kühler wird. Man sieht ja die Einheimischen überall unter Bäumen herumlungern, aber es gibt einfach nichts anderes, was man tun kann. Da die nächste Steckdose 100 km entfernt ist, gibt es auch keine Klimaanlage. Zwei der Polerinnen stehen unter einem Baum, die eine macht der anderen die Haare. Kunstvoll flechtet sie stundenlang ein Muster auf das Haupt, später wird aus einer Flasche eine Flüssigkeit daraufgesprüht, die einen Terrakottaton auf das Haar zaubert. Da sind die Frauen auf der ganzen Welt wohl gleich mit dem Wunsch, gut auszusehen.
Am späteren Nachmittag machen wir mit den Polern zusammen ein Gruppenfoto. Später wollen gerade die Damen jedes einzelne Foto ganz genau auf dem Kameradisplay sehen, es wird gezoomt und laut gegackert.
Julius legt im Flachbereich ein Netz aus, sie fangen sich ihr Abendessen, es sind wohl Tilapias und Bream.
Wir versuchen, ein wenig Abkühlung zu finden und gehen baden. Im Okavango. Es gibt hinter dem Nachbarlager einen Flachbereich, in dem anscheinend nichts wohnt, was einen umbringen möchte. Es ist angenehm kühl, und auch wenn ich die Bilharziose nicht ganz aus dem Hinterkopf verbannen kann, hat es was.
Auf dem Rückweg ist der Weg durch Elefanten versperrt, wir müssen sie umgehen.
Heute abend machen wir einen sundowner-Mokoroausflug. Wir halten uns ganz links am Hippo vorbei und man merkt den Polern an, dass sie sehr angespannt sind. Gegen Abend beenden Nilpferde ihre Siesta und gehen irgendwann an Land. Wenn in dieser Zeit jemand durch ihr Wohnzimmer schippert, werden sie ungehalten und das kann böse enden.
Wir erreichen einen Pool, in dem beide Guides sowie Charles uns etwas über eine Art Wasserlinse erzählen, deren Name ich erst recherchieren muß. Sie ist ein Neophyt, also irgendwie aus Amerika eingeschleppt und breitet sich seitdem im ganzen Delta aus. Das Problem ist, dass kein einheimisches Tier diese Pflanze frisst und so das Ökosystem nachhaltig gestört wird. Same problem wie bei uns das asiatische Springkraut. Insgesamt haben die Jungs richtig Ahnung von der Materie und von den ökologischen Zusammenhängen, obwohl sie ja teilweise nicht mal in der Schule waren.
Kurz vor Sonnenuntergang treten wir die Rückreise an, eine magische Stimmung ensteht im goldenen Schein der untergehenden Sonne. Lautlos dahinschwebend durch die Kanäle genießen wir die Situation, nebenher kann ich aber nicht umhin, auch mal ein Foto zu machen...
Die Poler versammeln sich zwischendurch an etwas breiteren Stellen im Wasser und beratschlagen die Hipposituation. Sie sind sehr konzentriert, und als wir unseren flachen Pool erreichen, lauert dahinter schon der Hausherr. Die Nilpferdhaut ist sehr sonnenempfindlich, deshalb machen sie sich dann abends auf den Weg zum grasen, da passieren dann auch die meisten Unfälle. Wenn man seinen Lebensunterhalt jedoch auf schmalen Einbäumen im Hippohabitat bestreitet, kann jederzeit eine lebensgefährliche Situation entstehen, wenn man in die gute Hippostube einbricht. Plötzlich grunzt Herr Hippo auf und stürmt, eine Wasserwand vor sich herschiebend auf den Mokoro mit unserem Schweizer Honeymoonpärchen zu. Bevor es flacher wird, bricht er ab und zieht sich wieder zurück. Jetzt sehe ich, dass Julius mit seiner Stange ins flache Wasser schlägt, was einen erneuten Scheinangriff hervorruft. Anscheinend weiß Julius sehr genau, was er tut, aber die Situation ist sehr adrenalinfördernd. Das sind vielleicht 30 Meter!
Als sie dann doch sicher an Land kommen, erwähne ich, dass sie es sicher auf die Seite 1 der Schweizer Tageszeitungen schaffen würden, wenn sie auf der Hochzeitsreise von einem Hippo gefressen würden. Ishmael 2, ein Typ junger Draufgänger fährt in den flachen Pool, um das Netz einzuholen und somit das Abendessen für die Einheimischen zu bereichern. In 20 Meter Entfernung von Mr. „Riesiger Kiefer mit 3 Tonnen hintendran“ will er das Netz herausziehen. Es hängt, und sein Blick ist jederzeit auf das Untier gerichtet. Schließlich kann er es lösen und die Brotzeit ist gesichert. Als ich nachfrage erklärt mir Julius, dass zunächst einmal jeder Poler eigenverantwortlich handelt, es ist nicht so, dass der Chef die Anweisungen erteilt. Generell ist es schwer auszumachen, wie die hierarchischen Strukturen beschaffen sind, oder ob es überhaupt welche gibt. Julius ist der Chefguide, aber er redet zwischendrin immer wieder mit Lukas, es sieht schon so aus, als ob er seine Meinung einholt. Charles wird ebenfalls um seine Meinung gefragt, ich hatte ja schon erwähnt, dass man merkt, dass ihm großer Respekt entgegengebracht wird. Den Abwasch erledigen die Damen, da hilft aber z.B. auch der Modellathlet Ishmael 2 mit. Es gibt schon eine Rollenverteilung zwischen Mann und Frau, aber es ist keinesfalls so, dass die Frauen sehr unter dem Pantoffel stehen würden.
Abends am Feuer, wie auch zwischendrin immer mal wieder, erklärt Julius etwas zum Leben und zur Kultur der Poler. Sie kommen vom Stamm der Bayee und teilen sich den Lebensraum mit den Buschmännern. Sie sind „Cousins“ und leben friedlich miteinander. Julius Mutter ist eine Buschmannfrau (Buschfrau?), sein Vater eine Bayee. Ich meine auch in seinen Gesichtszügen die etwas herberen Gesichtszügeder Buschmänner (die ich halt nur wieder aus Dokumentarfilmen kenne) zu erkennen. Die Einbäume wurden traditionell aus Leberwurstbäumen gefertigt; da mittelfristig immer weniger große Bäume zur Verfügung standen, wurde in den 90ern ein Projekt ins Leben gerufen, die Holzmokoros durch Fiberglass zu ersetzen., es gibt da auch ein Hilfsprojekt, an dem sich der Tourveranstalter Sunway beteiligt. Dennoch müssen die Poler einen Teil zum Erwerb beisteuern, dadurch ist ihre Motivation größer, die Schiffe zu pflegen. Früher lebten sie von der Jagd und vom Fischfang, heute verdienen sie zunehmend Geld mit dem Tourismus. Clinton meint, dass das Dorf Ditshiping, wo unsere Leute herkommen, deutlich besser aussieht als vor 2-3 Jahren, auch die Dorfschule ist neu und schaut ordentlich aus. Sie nutzen die ihnen zur Verfügung stehende Natur und sorgen für ihren Lebensunterhalt und wir haben das Gefühl, dass es ok so ist. Ditshiping hat keinen Strom und so wie es für mich aussieht, wird das wohl auch so bleiben. Als wir über die Filme und Fotos, die ich ihnen gerne zukommen lassen würde reden, stellt sich heraus, dass zwar irgendjemand eine emailadresse hat, dafür muß er aber 1 ½ Stunden nach Maun. Geht es ihnen dadurch schlechter? Ich kann es nicht beurteilen, meine aber nicht. Uns wird eine Tanz- und Gesangseinlage angekündigt. Ich zücke meinen Recorder und das Handy und bald darauf geht es los. Ein Hintergrundchor singt (schön!!!) und teilweise tanzen Lucas und Julius einzeln, teilweise mit einigen Frauen. Wir werden immer wieder dazugeholt, ich rede mich anfangs noch mit meiner Dokumentationspflicht heraus, später tanze ich dann doch mit Mikro in der Hand mit. Die Lieder handeln von der Flußpferdjagd, vom Regen (Pula Pula) und vom Ochsenfrosch. Am Schluß stehen wir im Kreis und es wird eine Art Hymne gesungen (Beautiful Botswana, beautiful nature, beautiful everything :-) ) Nach 8-10 Liedern ist der Auftritt vorbei, das war nicht gestellt und ursprünglich, ich habe es sehr genossen.
Lucas tritt an mich heran, weil ich heute meine Wildkamera einfach hinters Zelt gehängt habe und die Damen genau da hinten ihr Geschäft verrichten; ich verspreche, alle kompromittierenden Videos zu vernichten, kann aber ohne Laptop (es ist im Bus geblieben) nicht kontrollieren. Später stellt sich heraus, dass sie jeweils nur auf dem Hin- und Rückweg abgelichtet sind, alles gut. Da heute nachmittag weniger Wildaktivitäten zu verzeichnen waren, beschließe ich, dass die volle Konzentration des Meisterausspähers heute nicht vonnöten ist und gehe nach einem wiederum Wahnsinsstag in die Koje.
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